Die Gestaltung öffentlicher Toiletten, wie wir sie heute in unserer westlichen Gesellschaft kennen, basiert auf dem Konzept der Einteilung von Menschen in „Frauen“ und „Männer“: Am Eingang steht die Entscheidung, entweder die eine oder die andere Tür zu öffnen. Hinter beiden befindet sich meist jeweils ein großer Raum mit mehreren Waschbecken und Einzelkabinen. Im Fall der Männertoiletten gibt es oft zusätzliche Urinale, während Wickeltische meist nur in den Frauentoiletten zu finden sind. Gibt es eine dritte Tür, ist sie meist gekennzeichnet durch das Piktogramm einer Person im Rollstuhl und führt zu einer Toilette mit beispielsweise einem unterfahrbaren Waschbecken für körperlich beeinträchtigte Menschen. Diese Toiletten scheinen mit ihrer Auszeichnung (verglichen mit den beiden anderen Schildern) Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung ein Geschlecht vollkommen abzusprechen. Die Probleme der Gestaltung gehen allerdings weit über die Beschilderung hinaus. Das Versprechen der Barrierefreiheit beispielsweise wird oft nur schlecht erfüllen.
Insgesamt lassen sich viele Frage stellen: Warum gibt es in manchen Gebäuden weniger Frauen- als Männertoiletten? Warum behandelt das Design öffentlicher Toiletten Frauen und Männer ungleich? Warum werden Wickeltische vor allem in Frauentoiletten platziert? Existieren denn keine Väter mit Baby, die einen Wickeltisch benötigen? Was sollen sie tun? Warum sind barrierefreie Toiletten oft verschlossen und die Schlüssel außer Reichweite? Wie sollen menstruierende Personen die räumliche Trennung von Toilette und Waschbecken manövrieren? Was, wenn sich eine Person weder eindeutig als Frau noch als Mann identifiziert? Oder rein äußerlich einfach nicht heterosexuellen Stereotypen entspricht? Die aktuelle Gestaltung unserer öffentlichen Toiletten benachteiligt den Großteil der Bevölkerung.
Nicht nur sind öffentliche Toiletten in „Männer“, „Frauen“ und „Behinderte“ aufgeteilt: Auch gibt es weniger Frauen- als Männer- und noch viel weniger behindertengerechte Toiletten. Da viele öffentliche Gebäude, die von Unternehmen und Fabriken eingeschlossen, von gesunden, weißen, heterosexuellen Männern geplant und gebaut wurden – und das außerdem in einer Zeit, in der wenige Frauen* und behinderte Menschen an Universitäten studierten und in Bürogebäuden arbeiteten, um nur zwei Beispiele zu nennen – wurden diese einfach übergangen bzw. nicht mitbedacht. Heute existieren zwar oft öffentliche Toiletten für Frauen und Behinderte, aber immer noch in zu geringer Anzahl. Die Architektur- und Designwissenschaftlerinnen Kathryn H. Anthony und Meghan Dufresne zeigen in ihrem Text „Potty Parity in Perspective: Gender and Family Issues in Planning and Designing Public Restrooms“ (2007) auf, dass diese Form der Diskriminierung gesundheitliche Konsequenzen hat – besonders für Frauen*. Mindestens ein Viertel aller Erwachsenen mit weiblichen Geschlechtsorganen menstruiert in diesem Moment. Frauen* leiden auch häufiger an Inkontinenz oder müssen auf kleine Kinder aufpassen. Das sind Stressfaktoren, erst recht wenn keine (freie) Toilette zur Verfügung steht.
Nur Kabinen sogenannter Frauentoiletten sind (meist, auch nicht immer) Sanitärbehälter ausgestattet. Für Menschen, die sich als Mann identifizieren, aber dennoch menstruieren, stellt das eines vieler Probleme dar, die mit der aktuellen Gestaltung öffentlicher Toiletten einhergeht. Selbst wenn Kabinen solche Behälter aufweisen, befindet sich ein Waschbecken meist außerhalb dieser Einheit. Wer zuerst zum Waschbecken geht, mit der Absicht danach mit keimfreien Händen die Binde oder den Tampon wechseln oder auch die Menstruationstasse entleeren zu können, muss dennoch einen Weg finden die Kabinentür zu öffnen und hinter sich zu schließen ohne die Klinke direkt anzufassen und damit das Händewaschen nichtig zu machen. Ein Ausspülen der Menstruationstasse wird durch die räumliche Gestaltung unmöglich gemacht. Und auch blutige Hände können nur umständlich und behelfsmäßig mit Toilettenpapier oder selbst mitgebrachten feuchten Tüchern vor dem Wiederanziehen und dem Verlassen der Kabine gereinigt werden.
Auch Studien wie die von Jody L. Herman, die sie in ihrer wissenschaftlichen Arbeit „Gendered Restrooms and Minority Stress“ vorstellt, machen deutlich, dass die standardmäßige Gestaltung öffentlicher Toiletten nicht nur Frauen, sondern besonders Transgender und Personen, die sich mit keinem der Geschlechter identifizieren, ignoriert und ausgegrenzt. Die Gestaltung trägt aktiv dazu bei, Konflikte zu schüren und Menschen Gefahren auszusetzen. Die von Herman präsentierten Zahlen belegen, dass ihnen der Zugang verweigert wird (was 18 Prozent der Befragten betraf), sie verbal belästigt wurden, indem ihnen beispielsweise Fragen nach ihrem Geschlecht gestellt wurden (68 Prozent), oder sie sogar physische Gewalt erlebten (neun Prozent). 54 Prozent der Befragten gaben Gesundheitsprobleme an, die auf das Vermeiden öffentlicher Toiletten zurückgehen (beispielsweise auf das Einhalten des Harndrangs). Die Zahlen zeigen, dass die Mehrzahl öffentlicher Toiletten nicht für alle Personen zugänglich und sicher sind.
Welche Elemente sind nötig, um Toiletten für uns alle zugänglich, sicher und funktional zu machen? Im Jahr 2003 gründeten Studierende der University of California in Santa Barbara die Initiative „People in Search of Safe and Accessible Restrooms“ (PISSAR). Ausgestattet mit Maßband, Klemmbrett und einer Checkliste gingen sie auf ihrem Campus „auf Patrouille“, um die Gestaltung jeder einzelnen Toilette zu untersuchen, festzuhalten und auf einer Karte zu verorten. Auf ihrer Checkliste standen unter anderem Fragen zu der Beschilderung an den Eingängen, (nicht) vorhandenen Haltegriffen, der Höhe von Spiegeln, Waschbecken und Tamponautomaten, und ob und wo ein Wickeltisch zu finden ist. Die Aktion machte zum einen auf das Thema aufmerksam, zum anderen dienten die gesammelten Informationen vor allem dazu, Missstände aufzuzeigen und deren Beseitigung bei der Universitätsleitung einzufordern. PISSAR hat nicht nur Umgestaltungen erreicht, sondern auch den offiziellen Beschluss, dass alle zukünftigen Gebäude der Universität sowohl behindertengerechte als auch geschlechtsneutrale Toiletten vorweisen müssen. Die Gruppe, die sich mittlerweile aufgelöst hat, ist für viele Aktivist*innen zum Vorbild geworden.
Architektur- und Designstudios sollten von solchen Aktionen lernen und Lösungen erarbeiten. Natürlich müssen sich auch Gesetze und Normen ändern, aber Gestalter*innen können einen großen Beitrag zu einem Umdenken bei staatlichen und privaten Auftraggeber*innen sorgen. Sehr oft werden von Studios geschlechtsneutralen Großraumtoiletten vorgeschlagen, die allerdings weiterhin Waschbecken und Spiegel außerhalb der Einzelkabinen in einem gemeinsam genutzten Raum vorweisen. Diese Entwürfe sind nur oberflächlich eine Lösung. Menstruierende Personen werden weiterhin diskriminiert. Frauen*, die einen Moment für sich suchen, werden wieder männlichen Blicken ausgesetzt, wenn sie ihre Hände waschen, in den Spiegel schauen oder ihr Kopftuch neu binden möchten – eigentlich intime Momente, in denen sich alle sicher fühlen sollten. Der Stress, den sie spüren, kann für Überlebende sexueller Gewalt noch um ein vielfaches größer sein.
Das Konzept der Großraumtoiletten mit Einzelkabinen muss daher unbedingt durch einzelne, behindertengerechte Räume mit je einer Toilette, einem Sanitärbehälter, einem Waschbecken und ohne geschlechtsspezifische Auszeichnung. So hätten nicht nur Rollstuhlfahrer*innen, sondern auch Kinder oder andere Menschen mit Begleitung und Personen mit Kinderwagen genügend Platz. Die Gestaltung öffentlicher Toiletten muss sichere Räume für alle bieten und auch Personen (vor allem Frauen und Transgender) berücksichtigen, die Überlebende sexueller Gewalt sind. Öffentliche Toiletten sollten so gestaltet sein, dass sie für alle zugänglich sind und auf alle Bedürfnisse eingehen.
Weiterführende Literatur
- Kathryn H. Anthony and Meghan Dufresne, “Potty Parity in Perspective: Gender and Family Issues in Planning and Designing Public Restrooms”, Journal of Planning Literature, 2017.
- Jody L. Herman, “Gendered Restrooms and Minority Stress: The Public Regulation of Gender and Its Impact on Transgender People’s Lives”, The Williams Institute, UCLA School of Law, 2013.
- Alison Kafer, Feminist, Queer, Crip, Bloomington: Indiana University Press, 2013.
- Simone Chess, Alison Kafer, Jessi Quizar, Mattie Udora Richardson, “Calling all Restroom Revolutionaries!”, in: Mattilda Bernstein Sycamore (ed.), That’s Revolting! Queer Strategies for Resisting Assimilation, Berkeley: Soft Skull Press, 2008.
Eine frühere Version dieses Texts wurde in Ausgabe 270 (März/April 2017) des Designmagazins form veröffentlicht.
Anja Neidhardt ist Designkuratorin und -autorin. Seit Januar 2018 leitet sie Depatriarchise Design gemeinsam mit Maya Ober. Sie ist Mitglied der Redaktion des deutschen Gesellschaftsmagazins ROM, schreibt aber auch als freie Autorin für verschiedene internationale Designpublikationen und unterrichtet Designgeschichte/-theorie an der Academy of Visual Arts in Frankfurt/Main. Anja lebt in Berlin.