Design ist politisch. Diese Erkenntnis verbreitete sich vor ungefähr 50 Jahren unter vielen jungen Gestalter*innen. Victor Papanek (1923—1998) ging es in seiner Arbeit ebenfalls um die politischen Ebenen dessen, was Designer*innen tun. Er selbst war Industriedesigner – und gleichzeitig ein scharfer Kritiker der eigenen Disziplin. Das heute nach wie vor aktuelle Thema wird momentan in einer Ausstellung im Vitra Design Museum aufgegriffen, die Papanek in ihren Mittelpunkt stellt.
1970 störten Studierende und Aktivist*innen die Internationale Designkonferenz in Aspen mit Protesten und zwangen die Teilnehmer*innen, über neue Resolutionen abzustimmen, die für mehr sozial- und umweltpolitisches Engagement stehen. Wie viele seiner Zeitgenoss*innen war auch Victor Papanek davon überzeugt, dass neben funktionalen und formalen Aspekten, Fragen zu Benutzungsfreundlichkeit oder Verkäuflichkeit eines Entwurfs auch Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Umwelt – und die Wechselwirkung zwischen beiden – betrachtet werden müssen.
Die von Amelie Klein kuratierte Ausstellung Victor Papanek. The Politics of Design widmet sich unter anderem der Frage, wie wir seine Haltung „ins 21. Jahrhundert übersetzen können“. Neben seinem Werk zeigt sie auch Projekte seiner Studierenden und Kolleg*innen, sowie „eine Reihe […] aktueller Arbeiten, die Papaneks Thesen […] im heutigen Kontext konsequent zu Ende denken“, wie die Ausstellungsmacher*innen sagen. Inwiefern lässt sich dieser Anspruch eines „konsequenten zu Ende Denkens“ auf die Ausstellung selbst anwenden? Und wie können Papaneks gnadenlose Kritik und seine kompromisslosen Entwürfe in Ausstellungsform in die Gegenwart übersetzt werden?
Ehrliches DesignIn einem der drei Ausstellungsbereiche, die alle vom Foyer aus erreichbar sind, ordnet eine Zeitlinie Papaneks Leben mithilfe von Zeitungsartikeln, Briefwechseln, Publikationen, Fotografien und anderen Dokumenten in einen historischen, gesellschaftspolitischen Kontext ein. Seine Geschichte und die der (westlichen) Welt werden parallel erzählt und Bezüge zwischen beiden hergestellt: 1939 floh Papanek aus dem nationalsozialistischen Wien nach New York, wo eine Weltausstellung Visionen für die Zukunft präsentierte. Nach einer Ausbildung zum Industriedesigner machte er sich 1946 selbstständig und entwarf kostengünstige Möbel für Konsument*innen der Nachkriegszeit. Im Laufe der 1960er-Jahre entwickelte er dann seine Designkritik und neue Herangehensweisen für eine gerechtere Disziplin, die er in seiner wohl bekanntesten Publikation Design for the Real World (1970) zusammenfasste. Seine konsumkritische Haltung spiegelt sich in den Entwürfen, die er oft in Zusammenarbeit mit seinen Studierenden oder Kolleg*innen entwickelte, beispielsweise Fernseher und Radios für afrikanische Länder und Elektrofahrzeuge.
Die Ausstellung zeigt thematisch geordnet eine Auswahl dieser Arbeiten. Die Themeninsel, auf der es um Gestaltung für Kinder geht, stellt neben dem „Disposable Car Seat“ von Victor Papanek und James Hennessey (1973) unter anderem die von Jorma Vennola entworfenen Spielzeuge „Fingermajig“ und „Threading“ (1965—1970) vor, die die Feinmotorik und räumliches Denken fördern sollen. Zum Thema Barrierefreiheit werden beispielsweise der 1976 von Volvo in Zusammenarbeit mit Papanek entwickelte Prototyp eines Taxis für Rollstuhlfahrer*innen und die Eßhilfen, die Anfang der 1970er-Jahre von Angelika Lukat und Kurt Backfisch in Austausch mit Altersheimen, Rehabilitationszentren und Kindergärten entwickelt wurden gezeigt.
Die Barrierefreiheit der Ausstellung selbst ist leider nicht konsequent zu Ende gedacht. Den Benutzer*innen des Aufzugs werden die im Treppenhaus ausgestellten Originalnotizen von Papanek vorenthalten. Die Texte hängen des Öfteren auf 1,60m Augenhöhe, was sie für kleinere Menschen oder Rollstuhlfahrer*innen unzugänglich macht.
Außerdem werden alle Inhalte primär in gedruckter oder gesprochener deutscher und englischer Sprache präsentiert. Angebote für anderssprachige Besucher*innen, gehörlose und blinde Menschen eingeschlossen, finden sich in einer die Ausstellung begleitenden App, auf die allerdings nur am Rande verwiesen wird. „Ehrliches Design“ im Sinne Papaneks sieht anders aus. [1] Selbst etablierte Häuser wie das Deutsche Historische Museum in Berlin oder auch das Hygienemuseum in Dresden haben mittlerweile Mittel und Wege gefunden, Videos mit Gebärdensprache, Modelle zum Anfassen und Texte in mehr als nur zwei Sprachen in ihre Ausstellungen zu integrieren.
Kritisieren und handeln
Während sich Victor Papanek mit benachteiligten Gruppen wie Kindern, alten Menschen, Migrant*innen und Menschen im globalen Süden beschäftigte, erkannte er Frauen und LGBTQI* nicht als Gruppen an, die in unserer Gesellschaft Diskriminierung erfahren. Und das wohlbemerkt zu einer Zeit, in der die zweite Welle des Feminismus global für Aufsehen sorgte und die Stonewall-Unruhen in New York 1969 den Beginn der Lesben- und Schwulenbewegung markierten. Hier macht sich die Ausstellung den kritischen Blick, den Papaneks Denken ausmachte, zu eigen und erzählt von seiner Reaktion auf einen Vorschlag von Sheila de Bretteville. 1971, als er Dean der Design School am California Institute of the Arts war, präsentierte sie ihm die Idee eines Designprogramms von Frauen für Frauen. [2] Papanek lehnte den Vorschlag vehement ab. Der Streit ging dennoch zu de Brettevilles Gunsten aus und der Lehrgang wurde gegründet.
An anderer Stelle zeigt die Ausstellung jedoch unkommentiert Illustrationen, die Papanek selbst anfertigte und in denen er als Designer auftaucht, der wahlweise von einer Frau in seiner Arbeit inspiriert oder abgelenkt wird. Sie geht auch nicht darauf ein, dass seine Sprache Frauen systematisch ausschloss, da er stets das männliche Pronomen „he“ verwendete, wenn er von „designer“ (eine im Englischen geschlechtslose Bezeichnung) sprach. [3] Gleich der erste Ausstellungstext verweist auf die von Papanek geforderte „soziale, moralische und ethische Verantwortung des Designers“ – hier wird der Satz von einem Stern unterbrochen. Ein Genderstern? Nein. Ein Verweis: „Alle Personen- und Funktionsbezeichnungen, die in dieser Ausstellung in der männlichen Form verwendet werden, gelten sinngemäß auch in der weiblichen Form“. Wollte sich die Ausstellung nicht der Frage widmen, „wie wir [Papaneks Lehren] ins 21. Jahrhundert übersetzen können“? Warum also nicht die geschlechtergerechte Sprache anwenden, so wie das die heutige Generation junger, verantwortungsbewusster und sozialkritischer Aktivist*innen und Gestalter*innen tut?
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich die Bewegungen weiterentwickelt, weshalb auch der Vortrag im Begleitprogramm zum Thema Design und Gender von Personen gehalten werden sollte, deren Feminismusverständnis intersektional ist. Erst recht, da sich die Ausstellung selbst mit Jim Chuchus Wandgemälde „All Oppression is Connected!“ zu einem neueren Feminismusbegriff zu bekennen scheint. Griselda Flesler, die den Fachbereich Design and Gender Studies an der Universität von Buenos Aires leitet oder Luiza Prado und Ece Canli von Decolonising Design, die Feminismus und dekoloniale Arbeit miteinander verbinden, wären mögliche Kandidatinnen hierfür. Und wieso gibt es eigentlich keine Veranstaltung zum Thema Designausbildung, wo doch gerade Papanek in der Lehre so aktiv war? Warum nicht die lehrenden Designexpertinnen Dori Tunstall und Danah Abdulla in einer Gesprächsrunde zu Wort kommen lassen, anstatt sie nur für den Ausstellungskatalog zu interviewen?
Konsequent zu Ende denken
Obwohl die Ausstellung unermüdlich darauf hinweist, wie wichtig Teamarbeit für Victor Papanek war und in einer Medieninstallation die Wechselwirkungen mit anderen „wichtigen“ Akteur*innen aufzeigt, liegt ihr Fokus unmissverständlich auf ihm selbst. Sein Name prangt auf Plakaten, Tickets, Online-Bannern und dem Katalog – auch in Kombination mit Darstellungen von Objekten, die nicht von ihm gestaltet wurden. Auf die Gefahr hin, dass sich falsche Assoziation in den Köpfen der Betrachter*innen einprägen.
Wenn auch Victor Papanek nicht der Einzige gewesen sei, der mehr
Verantwortungsbewusstsein im Design einforderte, habe er jedoch „ohne Zweifel
[…] an der Spitze dieser Bewegung“ gestanden, so die Ausstellungsmacher*innen. Wenn
wir Papaneks Denken in die Gegenwart übersetzen, sollten wir jedoch genau diese
Hierarchien in Frage stellen. Indem wir versuchen Einzelne „an der Spitze“ ausfindig
zu machen, um sie anschließend zu feiern, werden wir weder jenen gerecht, die leiser, schwächer oder
weniger privilegiert, gebildet oder artikuliert sind, noch der Bewegung, die
durch das Zusammenwirken aller Beteiligten ihre wahre Kraft entwickelt.
[1] Ganz abgesehen davon wird nicht auf den Widerspruch eingegangen, dass hier eine Ausstellung über konsumkritische Gestaltung in dem privaten Museum eines Unternehmens gezeigt wird, das sogenannte Designklassiker für die finanziell wohlhabende Mittel- und Oberschicht herstellt.
[2] Sie wollte erforschen, was es bedeutet als Frau im Design tätig zu sein. Außerdem war sie davon überzeugt, dass Frauen unter sich und in einer sicheren Umgebung anders von- und miteinander lernen bzw. arbeiten als in gemischten Programmen.
[3] Die Designwissenschaftlerin Natalie Terese Balthrop analysiert diesen Aspekt in ihrer Arbeit „Feminist Perspectives of Socially Responsible Design: A Case Study for Sustainable Health Enterprises“ (2012)[
In unserem depatriarchise design *!Lab!* am 9. März 2019 werden wir gemeinsam die Ausstellung „Victor Papanek: The Politics of Design“ im Vitra Design Museum besuchen und aus intersektional feministischer Perspektive betrachten. Wir freuen uns auf Eure Anmeldung! Weite Infos gibt es hier
Eine frühere Version dieses Texts wurde in Ausgabe 281 (Jan/Feb 2019) des Designmagazins form veröffentlicht.